Katalonische UnabhängigkeitsforderungEin neuer Staat in Europa?
04.11.2012 · Katalonien fordert die Unabhängigkeit. Es will nicht mehr Zahlmeister Spaniens sein. Solche Regionalkonflikte werfen Schatten auf Europa: sie zeigen mögliche Bruchstellen einer Transferunion.
Von PHILIP PLICKERT
© JUANFRA ALVAREZ/INVISION/LAIFFlaggenmeer in Barcelona: 1,5 Millionen Katalanen gingen dieses Jahr zum Nationalfeiertag auf die Straßen
Die Nerven liegen blank in Spanien. Während das Land am finanziellen Abgrund steht, ist im nordöstlichen Teil ein Regionalkonflikt eskaliert, der die Einheit des Königreichs bedroht. In Katalonien, einer der reichsten Regionen, ertönt lauter denn je der Ruf nach staatlicher Unabhängigkeit. Die Schuldenkrise hat der separatistischen Bewegung Auftrieb gegeben. Am 11. September versammelten sich in den Straßen Barcelonas bis zu 1,5 Millionen Katalanen und schwenkten die „Senyera“, die goldgelbe Fahne mit vier roten Streifen. Auf vielen Flaggen prangten fünfzackige Sterne: das Zeichen der Unabhängigkeitsbewegung. „Es war unglaublich“, sagt Wirtschaftsminister Andreu Mas-Collel. „Niemand hatte das erwartet.“ Die Massenmobilisierung durch lokale Gruppen hat auch die Regionalregierung überrumpelt.
Alljährlich treffen sich im September die Nationalisten, um der Niederlage der katalanischen Truppen im Spanischen Erbfolgekrieg 1714 zu gedenken. Nie zuvor traten sie aber so machtvoll in Erscheinung. „Katalonien: Ein neuer Staat in Europa“ lautete das Motto der Demonstration. Fast jeder Fünfte der 7,5 Millionen Katalanen nahm teil. Das politische Madrid war entsetzt. König Juan Carlos warnte, die Unabhängigkeitsbestrebungen seien „Hirngespinste“ - aber in Barcelona sieht man es anders. „Ein Hirngespinst ist vielmehr, dass in Katalonien alles beim Alten bleiben könnte“, sagte Regionalpräsident Artur Mas. Mas hat für den 25. November vorzeitige Neuwahlen ausgerufen, seine liberal-konservative Koalitionspartei Convergència i Unió kann mit Zugewinnen rechnen. Wird er gestärkt, will er - vermutlich in zwei Jahren wie die Schotten - ein Referendum über „einen eigenen Staat in Europa“ abhalten.
12 bis 16 Milliarden Euro Nettotransfer pro Jahr
„Ist die Krise nicht der richtige Zeitpunkt dafür? Ich glaube schon“, sagt Mas zu Journalisten auf einer Reise, zu der das katalanische Wirtschaftsministerium eingeladen hatte. „Der Prozess zu einem Referendum ist nicht mehr zu stoppen.“ Selbstbewusst präsentiert sich der Industriellensohn, der sich in der katalanischen Politik beharrlich nach oben gearbeitet hat, in seinem gotischen Regierungspalast. Dies ist sein Reich, seine Bühne. Im Innenhof ragen groteske Steinfiguren und Wasserspeier von den Mauern. Mas zeigt auf einen kleinen Garten mit Orangenbäumen. Ihr Duft sollte im Mittelalter die üblen Gerüche von der Straße bekämpfen. Heute ist Barcelona - trotz der Sparzwänge in der Krise - eine überaus saubere Stadt.
Doch den Katalanen stinkt etwas anderes. Zum einen fühlen sie sich kulturell zurückgesetzt und sehen ihre seit der Franco-Diktatur mühsam erkämpften Rechte bedroht. Ein Dauerstreit geht darum, ob in den Schulen alle Kinder die Sprache lernen müssen, und um die Frage, ob die Katalanen eine eigene „Nation“ seien. Zum anderen sehen sich die Katalanen finanziell ausgebeutet. Mehr als alles andere hat das Geld die Beziehungen mit der Regierung in Madrid vergiftet.
„Das Hauptproblem sind die Transfers an die Zentralregierung“, sagt Mas-Collel, der katalanische Wirtschafts- und Finanzminister. Der 68-Jährige hat fast vier Jahrzehnte als Ökonomieprofessor gelehrt, unter anderem in Harvard. Was er nun in der Praxis durchlebt, sprengt alle schönen Gleichgewichtsmodelle aus der Vorlesung. Er zieht eine Aufstellung mit offiziellen Zahlen des Madrider Finanzministeriums hervor. Sie zeigen, dass Katalonien jedes Jahr - je nach Berechnung - 12 bis 16 Milliarden Euro Nettotransfer an den Rest des Landes abführt, das sind 6 bis 8 Prozent des katalanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Katalonien ist selbst hochverschuldet
Das ist gewaltig viel, verglichen etwa mit dem, was im deutschen Länderfinanzausgleich bewegt wird. Die Hauptzahler in Deutschland, Hessen und Bayern, zahlen rund 0,8 und 0,9 Prozent ihres BIP. Die Katalanen schultern dagegen sechs- bis zehnmal so hohe Nettozahlungen relativ zu ihrem BIP. „Das ist nicht länger tragbar“, stöhnt Mas-Collel. Er sei für Solidarität der reicheren mit den ärmeren Regionen, doch dieses Transfervolumen stelle die Verhältnisse auf den Kopf. Katalonien habe auch große Schwierigkeiten, etwa die Ausgaben für 22 Prozent Arbeitslosigkeit.
Zu allem Unglück ist Katalonien selbst hochverschuldet, nachdem eine ausgabenfreudige sozialistische Vorgängerregierung von Krisenausbruch bis 2010 extrem hohe Defizite aufgehäuft hatte. Im Spätsommer musste Katalonien einen Hilfskredit von fast 5 Milliarden Euro aus dem Krisenfonds der Zentralregierung beantragen. Zahlmeister und Bittsteller zugleich - das hat die stolzen Katalanen ins Mark getroffen. Ein weiteres Problem: Um die Transfers zu finanzieren, muss die Region hohe Steuern erheben. Der Spitzensatz für die Einkommensteuer liegt bei 56 Prozent bis maximal 60 Prozent. „Das ist schwedisches Niveau“, klagt Regionalpräsident Mas, der die Steuern gerne senken würde.
Um die Belastung zu verringern, hat er in Madrid einen „Fiskalpakt“ gefordert: Wie das reiche Baskenland - das seine Steuern aus historischen Gründen selbst verwaltet - will er Steuerautonomie und weniger Transfers, doch hat er von Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy eine brüske Absage erhalten. Madrid möchte vielmehr die Schuldenkrise nutzen, um die Regionen fiskalisch an die Leine zu legen. „Rezentralisierung“ wittern darin die regionalen Separatisten.
Die separatistische Bewegung steht nicht allein da in Europa
Katalonien war bis zur Krise ein blühender Wirtschaftsraum, ein Wachstumsmotor für ganz Spanien. In der Region leben 16 Prozent der Bevölkerung, sie erwirtschaften aber 20 Prozent des BIP des Königreichs. 27 Prozent der spanischen Exporte kommen aus Katalonien, bei hoch-technologischen Produkten sind es sogar gut 40 Prozent. Die Region ist traditionell ein Zentrum der Industrie. Es gibt Stahlwerke und die Autofabriken von Seat, zudem beachtliche Pharmakonzerne oder Modeunternehmen wie Mango. Eine wichtige Einnahmequelle ist der Fremdenverkehr, allein die Stadt Barcelona zieht jährlich 7 Millionen Touristen an. Auch ausländische Investoren kommen gerne nach Katalonien. Rund 4000 multinationale Konzerne haben sich angesiedelt.
Aus Deutschland sind BASF, Bayer und Siemens mit Werken vertreten. Etwa 50 Prozent aller deutschen Unternehmen in Spanien produzieren in Katalonien. „Eine stark diversifizierte und mittelständische Wirtschaftsstruktur, dazu Fleiß und Innovation“, das sind laut Mas-Collel die Merkmale seines Landes. „Wir träumen davon, so etwas wie die Deutschen des Südens zu sein.“ Der Unterschied zu Madrid liege auf der Hand, sagt Staatssekretär Albert Carreras, auch er ein früherer Ökonomieprofessor: „Madrid ist eine staatsbasierte Gesellschaft, Katalonien ist marktorientiert.“ Für Spanien wäre es zweifellos ein großer Verlust, wenn sich diese reiche Region abspalten würde. Bräche der größte Zahler weg, wäre der Zentralstaat „nicht mehr lebensfähig“, warnte der Justizminister.
Dabei steht die separatistische Bewegung der Katalanen nicht allein da in Europa. Schotten, Flamen sowie Norditaliener wollen sich ebenfalls loslösen. Die schottische Regionalregierung meint, mit den Einnahmen aus dem Nordseeöl alleine besser dazustehen als im Verbund mit der britischen Krone. In zwei Jahren soll ein Referendum abgehalten werden. Extreme Spannungen gibt es seit Jahrzehnten in Belgien, wo sich viele Bürger im flämischen Norden vom französischsprachigen Wallonien trennen wollen. In Antwerpen, der größten Stadt des Landes, hat jüngst der separatistische Flamen-Politiker Bart de Wever die Bürgermeisterwahl gewonnen. „Belgien ist eine Transferunion, in der die Flamen übermäßig zur Föderation beitragen“, kritisiert de Wever. Sie hätten genug davon „wie Milchkühe behandelt zu werden“. Nach Schätzungen fließen jährlich 6 Milliarden Euro vom flämischen Norden nach Wallonien, andere Berechnungen kommen sogar auf 16 Milliarden Euro.
Die Zustimmungsquoten für einen eigenen Staat steigen
Auch in Italien gibt es ein starkes Nord-Süd-Gefälle, das über Jahrzehnte separatistische Gedankenspiele anheizte. In der Po-Ebene war und ist die Lega Nord ein starker Faktor. In Südtirol marschierten im Frühjahr Tausende Schützen unter dem Motto „Los von Rom“. Anfang Oktober gab es in Venedig eine Großdemonstration für eine unabhängige Republik.
Im Kern geht es immer um ökonomische Konflikte: Die reicheren Regionen wollen die ärmeren Landesteile nicht länger durchfüttern. Die regionalen Spannungen zeigten, vor welchen Problemen die Eurozone im Großen stehen werde, warnt die Analystin Jennifer McKeown. „Die wachsende Aversion der Bürger gegen Transfers innerhalb von Staaten wirft ein Schlaglicht darauf, wie schwierig es sein wird, wenn sich die europäische Politik in Richtung einer größeren Fiskal- oder Transferunion bewegt.“ Viele sähen Transfers als notwendig an, um Wettbewerbsunterschiede auszugleichen und die Eurozone zusammenzuhalten, betont McKeown vom Analysehaus Capital Economics. Aber der vermeintliche Kitt kann zum Sprengstoff werden.
In Katalonien sind die Zustimmungsquoten für einen eigenen Staat stark gestiegen. Waren vor einigen Jahren höchstens 30 Prozent dafür, so sind es jetzt mehr als die Hälfte. Auch die Wirtschaft unterstützt den Kurs. Jüngst ergab eine Umfrage der Vereinigung der kleinen und mittleren Unternehmen, dass rund 67 Prozent einen unabhängigen Staat wünschen. Selbst die Großindustrie ist nicht abgeneigt. „Die Strategie der Zentralregierung passt nicht zu den katalanischen Bedürfnissen“, sagt Carles Sumarroca, Chef des multinationalen Baukonzerns Comsa Emte und Vorsitzender eines einflussreichen Wirtschaftsverbands. Die Zentralregierung investiere zu wenig in Katalonien. Als Beispiel dafür nennt er die Infrastruktur. Fast alle schnellen Bahnstrecken verlaufen sternförmig nach Madrid. Sumarroca hält einen eigenen Staat für eine „interessante Alternative“. Pharmaunternehmer Albert Esteve sagt es noch deutlicher: „In einem unabhängigen Staat ginge es uns besser.“
Die Katalanen betonen ihre Europa-Orientierung
Doch es wäre eine Reise ins Unbekannte - und mit vielen Risiken. Madrid hält ein Referendum schon aus verfassungsrechtlichen Gründen für unmöglich. „Sicherlich wäre eine Scheidung schmerzhaft“, gibt Regionalpräsident Mas zu. Und sie würde eine Gegenreaktion aus Madrid provozieren. Einige Politiker und Leitartikler haben schon mit der Armee gedroht, doch eine militärische Eskalation will wohl niemand. In jedem Fall drohte aber ein Wirtschaftskrieg. Vor sieben Jahren, als der Autonomiestreit schon einmal hochkochte, boykottierten viele Spanier den Schaumwein Cava aus Katalonien. Doch die Einbußen waren nur temporär. „Das ist allenfalls vorübergehend“, sagt der Finanzinvestor Carlo Bonomi, ein gebürtiger Italiener. „In einer Marktwirtschaft entscheiden die Konsumenten nach der Qualität und dem Preis, nicht so sehr nach der Herkunft.“
So sehr die Katalanen „Nationalisten“ sind, so sehr betonen sie zugleich ihre Europa-Orientierung. Ihr neuer Staat kann nur in der EU funktionieren. „Die Hauptsache ist, wir bleiben in der EU und im Binnenmarkt“, sagt Regionalpräsident Mas. Wie an allen offiziellen Gebäuden hängt an seinem gotischen Palast neben der katalanischen und der spanischen die EU-Fahne. Der katalanische „Nationalist“ ist bereit, weitere Kompetenzen an Brüssel abzugeben, wenn er nur von Madrid freikomme. „Wie Brüssel uns behandeln wird, wissen wir nicht, aber wir wissen, wie Madrid uns behandelt“, sagt er. Es klingt unversöhnlich.
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